“Hide and Seek” mit Gott

Bernhard Heindl
3 min readJul 14, 2016

Eine Ordensschwester in Exerzitien, also geistlichen Übungen, bei denen man eine Woche schweigt und täglich mit einem Begleiter spricht. Sie findet nicht so recht in die Stille. Äußerlich ist alles ruhig. Dafür gibt es ja Exerzitienhäuser: Tagesablauf und Ambiente sind so gestaltet, dass man zur Ruhe kommen kann.

Innerlich ist die Schwester unruhig, sie denkt und denkt und denkt. Sie formuliert ihre Wünsche an diese Tage, fasst Vorsätze, macht spirituelle Hausaufgaben: Was sie schon längst einmal oder wieder einmal bedenken wollte. Auch ihre Oberin hat ihr noch ein paar Hausaufgaben mitgeben: Was sie schon längst einmal oder wieder einmal bedenken sollte.

„Die Freiheit der Kinder Gottes! Die Freiheit, zu der wir berufen sind, wie der hl. Paulus im Römerbrief sagt! (vgl. Röm 8,21) Ich denke, darüber sollte ich mal nachdenken!“ Ich sitze da, höre zu, finde das Thema gar nicht schlecht, überlege aber, was helfen könnte, dass die Schwester über die Ruhe zur Stille und nicht in neue Hausaufgaben und Gedanken findet. Finde aber nichts, die Ordensschwester denkt und denkt und denkt, macht Hausaufgaben.

Das geht drei Tage so. Jeder Versuch, sie von ihren doppelten Hausaufgaben wegzubringen, wird pflichtbewusst angehört. Aber tags darauf erzählt mir die Schwester wieder, wie herrlich die Freiheit der Kinder Gottes doch sein muss und welch ein wunderbarer, tiefer, gelehrter Autor der hl. Paulus ist.

Bild: “Thanksgiving fun 2014”, Iberian Explorer, flickr

Ich bin schon leicht am Kapitulieren, da kommt die Schwester am vierten Tag und sagt:„Heute hatte ich einen sonderbaren Traum.“

Da sie Amerikanerin ist, haben wir unsere Hausaufgaben zum Teil auf Deutsch und zum Teil auf Englisch gemacht. „Ach ja, welchen denn?“ — „Ich habe geträumt, dass Gott vor unserer Haustür stand, also vor der meiner Kindheit, und sagte: Won’t you come out and play?“ (Willst Du nicht rauskommen zum Spielen?)

Ich spontan: „Das sollten Sie tun! Das ist ja wunderbar!“ — „Ich glaube, ich verstehe nicht ganz.“ — „Römer 8 in Ehren, das ist hohe Theologie, da kann man viel bedenken. Sie brauchen mal eine Pause. ‚Freiheit‘, ‚berufen‘, das sind gehaltvolle Worte, aber Gott holt Sie bei ‚Kinder‘ ab. Er steht vor Ihrer Tür und fragt, was Kinder tun, denen die Hausaufgaben langweilig geworden sind: Hast du Lust zum Spielen?“ — „Mhm.“ — „Und? Und was antworten Sie Gott? Wollen Sie spielen?“

Sie wollte und die beiden haben dann für den Rest der Tage „Hide and Seek“ (Verstecken) gespielt. Das war ein Lieblingsspiel, das konnte die Schwester stundenlang mit ihren Geschwistern im Garten des Elternhauses spielen. Am Ende der Tage hatte sie mit Gott fast ihr ganzes Leben, ihre Berufung noch einmal durchgespielt.

Bild: “The Blue Guitar”, David Dodge, flickr

„Ich kenne jetzt meine ‚Lieblingsverstecke‘ und wie mich Gott aus ihnen herausgelockt hat. Ich bin mit ihm lachend zum ‚Abklatschpunkt‘ gerannt. Und dann war er dran, denn er hat sich ja auch immer wieder versteckt. Aber!”, … sie hebt den Zeigefinger und lacht: “Ich hab ihn auch immer gefunden!“

Für mich war da ‚Freiheit‘ zu spüren und die Freiheit der Kinder Gottes, zu der wir berufen sind, war damit Wort für Wort ‚bearbeitet‘.

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Bernhard Heindl

Jesuit, Priester an der Jesuitenkirche in Innsbruck, Geistlicher Begleiter, Exerzitienleiter